Review in MINT 4/2022

von Steffen Peters, 17. März 2022
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Das äußert sich vor allem darin, dass die Übersetzung sich für deutsche Muttersprachler flüssiger liest als vergleichbare Musikbücher, die im Original aus den USA stammen. War der Hauptgrund dafür, dass Der Sound der Jahre überhaupt zuerst im Ausland erschien, Reetzes Wille, den vielen Vorurteilen und Falschinformationen über deutsche Musik im englischsprachigen Raum eine Expertise entgegenzusetzen, so gilt es nun, das ist zumindest eine Lesart, den Deutschen ihre eigene Kulturgeschichte aus dem blinden Fleck zu ziehen. Abgesehen von Kraftwerk, Tangerine Dream und Can haben es die Rockinnovatoren der späten 60er und frühen 70er eben nicht so nachhaltig ins bundesdeutsche Bewusstsein geschafft, wie man es in seiner Plattensammler-Blase glauben könnte. Der Prophet im eigenen Land, man kennt das. Wer mag, kann zur Probe gerne seine Cousine oder seinen Schwager fragen, ob sie auch musikalisch etwas mit Pilz und Spiegelei anfangen können. Falls nicht, ist hier neben Christoph Dallachs Future Sounds das Buch, das Abhilfe schafft. Weil es unterhaltsam geschrieben ist, also nicht über alle Maßen akademisch und zudem in der ersten Person Singular, wie Reetze es sich bei US-Sachbüchern abgeschaut hat, die näher am Leser sein wollen. Der in Pittsburgh lebende Autor hat seine Kenntnisse aus unangreifbaren Quellen, nämlich aus der Wissenschaft (er hat zu Krautrock promoviert) und Tätigkeiten in deutschen Studios und Musikverlagen. Und auch Leuten, die meinen, sich bereits auszukennen, hat Der Sound der Jahre etwas zu bieten, denn Reetze setzt seinen Schwerpunkt zwar auf Krautrock und die Anfänge der Neuen Deutschen Welle, sein roter Faden ist allerdings ein chronologischer: Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Mauerfall zeigt er die Zusammenhänge von musikalischen Strömungen und historischen und soziologischen Entwicklungen auf. So schafft er unter anderem ein Bewusstsein für die Signifikanz von Schlager, Jazz und der Hippiebewegung. Ab 1990 ist übrigens Schluss, weil sich Reetze ab da nicht mehr auskennt. Darum hat er auch die DDR ausgeklammert, wie er in seiner Einführung schreibt. Mit dem Erscheinen des Buches auf Deutsch ist nun immerhin ein Wunsch aus der ursprünglichen MINT-Besprechung erfüllt. Fehlen noch Poster der Grafiken im Buchdeckel, die sich um die Verdienste der zentralen Krautrock-Figuren Conny Plank, Dieter Dierks und Rolf-Ulrich Kaiser drehen.