Review in Jazzthetik 5/2022

von Jan Kobrzinowski, 27. April 2022
Klicke hier für die Originalquelle

Das Buch des Musikautoren und Soziologen Jan Reetze Der Sound der Jahre ist vor allem eins nicht und will es auch nicht sein: eine vollständige kulturgeschichtliche Abhandlung. Vielmehr geht es ihm um das Musikalische, „was die Deutschen durch ihr Leben begleitet und sie geprägt hat“.

Der Umstand, dass der deutsche Autor inzwischen in den USA lebt, sein Buch zunächst auf Englisch publizierte und dann erst in seine Muttersprache übersetzte, verleiht dem Buch eine besondere Aura. „Times and Sounds“ fand vor seinem Erscheinen hierzulande schon in US-Kreisen große Beachtung, war doch der Krautrock schon zu seiner Zeit eines der wenigen im Ausland beachteten bundesdeutschen Musikphänomene. Warum z.B. das so ist, erklärt der Autor schlüssig und aus der Perspektive der profunden Kenntnis beider Seiten. Im Mittelpunkt von Kapiteln wie „Trümmerjahre“, „Starclub“, „Wirtschaftswunderbeat“, „Die Zukunft ruft“, „Kaisers Reich“, „Elektronische Revolution“ etc. stehen Bands wie Amon Düül II, Can und Kraftwerk, Musiker wie Eberhard Schoener, Florian Fricke und Giorgio Moroder, Drahtzieher wie die Tontechniker und Produzenten Conny Plank und Dieter Dierks, sowie schillernde Figuren wie der Musikkritiker, Labelchef und Produzent Rolf-Ulrich Kaiser. Um deren Einflüsse auf die heutige Situation der deutschen Musikszene geht es Jan Reetze unter anderem. Er bewegt sich, ohne den Entwurf einer großen historischen Prämisse, eben aus seiner subjektiven Perspektive, mal eben „von den Anfängen deutscher Jazz- und Swing-Orchester über die ersten Rock’n’Roll-Bands rund um den Hamburger Star-Club bis hin zu den Pionieren des Synthesizers“. Und damit nicht genug: „Von der heilen Welt des Schlagers bis zu Agitprop und linken Protestsongs. Von avantgardistischen Kompositionen Karlheinz Stockhausens und seinen vermeintlichen Jüngern des Krautrocks bis hin zur Neuen Deutschen Welle.“ All diese Kulturphänomene zusammenzubringen, kann nicht gelingen, ohne der Geschichte irgendwie Gewalt anzutun. So denkt man. Tatsächlich aber wird vieles, was Reetze verspricht, auf dem Wege eines grandiosen Rundschlages eingelöst, und zwar locker und lesbar geschrieben. Was all diese Aspekte zusammenhält und zum Gelingen dieses Projektes beiträgt, ist nämlich die Leidenschaft des 1956 geborenen Nach-68ers Reetze für die Musik und Kultur seiner Zeit. Der Sound der Jahre ist vor allem eins: spannendste Nachttischlektüre — was bei einem Sachbuch mit 530 Seiten eindeutig für das Buch spricht. Unbedingte Leseempfehlung — auch zum Schmökern!