von Florian Schneider, 25. Februar 2022
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Die Zukunft der Rockmusik ist inzwischen 50 Jahre alt – trotzdem ist Krautrock in aller Munde. Was auch an Büchern wie Der Sound der Jahre von Jan Reetze liegt. Der 66-jährige Wahlamerikaner über die Krautbands, die ihn am meisten beeindruckt haben, und warum ihn Tangerine Dreams Edgar Froese fast verklagt hätte.
Jan, Bücher über Krautrock gab es in jüngster Zeit einige. Worin unterscheidet sich deins?
Jan Reetze: Das meiste, was ich kenne, sind Erinnerungen von Musikern oder Schilderungen, wie eine bestimmte Band entstanden ist und sich dann entwickelt hat. Was meiner Meinung nach fehlte, war ein Buch, das die gesamte Entwicklung in die politische, kulturelle und mediale Situation damals einbettet.
Dein Buch ist zunächst als Times & Sounds auf Englisch erschienen. Warum?
Im englischsprachigen Raum sind viele Falschinformationen, Sagen und Märchen über diese Zeit unterwegs. Denen wollte ich etwas aus einer deutschen Perspektive Geschriebenes entgegensetzen. Wobei die deutsche Version keine reine Übersetzung ist. Ich habe das Buch dafür komplett überarbeitet.
Woran liegt es, dass Krautrock hierzulande lange nicht so geschätzt wurde wie im Ausland?
Krautrock hat schon immer ein spezielles Publikum angesprochen. Den Massenmarkt haben nur die wenigsten Bands aus dieser Zeit erreicht, allenfalls Can, Kraftwerk oder auch Tangerine Dream. Aber selbst die haben in England oder Frankreich besser verkauft. Das änderte sich erst mit dem Übergang zur Neuen Deutschen Welle, die aber schnell in den Schlagerbereich überging.
Dein Buch deckt nicht nur die Hochzeit des Krautrock von Ende der 60er bis Mitte der 70er ab, du schreibst vielmehr die Geschichte der deutschen Rockmusik vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis 1990. Warum endet deine Erzählung mit der Wiedervereinigung?
Mit der Deutschen Einheit ging ein Bruch einher, an dem sich die Musik drastisch Richtung Techno verändert hat. Ich habe zwar die Anfänge davon mitbekommen, aber mir wurde schnell klar, dass ich in dieser Szene nicht mehr drinstecke. Die Aufarbeitung dieser Zeit sollen andere übernehmen, die sich besser damit auskennen. Aus dem gleichen Grund klammere ich in meinem Buch auch die Musik der DDR aus.
Ungewöhnlich ist, dass du aus der Ich-Perspektive eigene Erfahrungen einfließen lässt und Teile deiner eigenen Biografie schreibst. Ist das eine Folge deines langen Aufenthalts in den USA, wo das üblicher ist als im deutschsprachigen Raum?
Ja, das ist in amerikanischen Sachbüchern nicht ungewöhnlich. Ich denke, viele werden sich darin wiedererkennen, weil sie etwa die gleichen Radiosender gehört haben oder auf den gleichen Konzerten waren. Für Jüngere sind das Erfahrungen, die sie nicht kennen.
Auf welche Quellen hast du für dein Buch zurückgegriffen?
Ich habe ein umfangreiches Archiv zum Thema Krautrock, weil ich meine Diplom- und meine Doktorarbeit zum Thema geschrieben habe. Was Interviews angeht, bin ich der Meinung, dass man die Leute nicht zum 30. Mal fragen muss, was sie schon 29 Mal beantwortet haben. Deshalb habe ich viele Aussagen aus anderen Quellen gesammelt. Wenn es dann noch offene Fragen gab, habe ich nachgefragt.
Welchen Musiker aus der Krautrock-Zeit hättest du gerne gesprochen, bei dem es nicht mehr möglich war?
Edgar Froese von Tangerine Dream. Ich hatte ihn deswegen auch mal angeschrieben, aber er muss meine Anfrage in den völlig falschen Hals bekommen haben.
Wie äußerte sich das?
Das hing mit dem Buch Musikcomputer – Computermusik zusammen, dass ich Ende der 80er geschrieben habe. Dafür hatte ich unter anderem mit Musikproduzent Ulrich Rützel gesprochen. Der kannte Froese und hatte im Interview mit mir etwas zum Thema Playback bei Konzerten von Tangerine Dream gesagt. Was nun alles andere als ungewöhnlich ist bei elektronischer Musik. Ich habe Froese dann um seine Sicht dazu gebeten. Wollte er nicht. Stattdessen drohte er sowohl Rützel als auch mir mit einer Klage, wenn das veröffentlicht würde. Es ist dann ohne Namensnennung erschienen.
Wenn du auf die 70er zurückblickst: Welche Band aus dieser Zeit ist dein Liebling?
Das ist schwer zu sagen. Can gehören dazu, Kraftwerk auch. Das sind die Bands, die ich als erstes entdeckt habe im Radio. Damals gab es eine Sendung im NDR, die hieß Das neue Werk, in der vor allem Avantgarde lief. Sachen wie Ligeti oder Stockhausen. Die Sendung habe ich mir nie entgehen lassen, vermutlich weil ich mich damit in der Schule interessant machen konnte. So kam ich zur elektronischen Musik, die ich aber als sehr streng und akademisch empfand. Erst als Kraftwerk oder auch Can kamen und diesen Ansatz mit Rockmusik vermischten, wurde mir bewusst, dass es genau das war, was ich immer gesucht hatte.
Tangerine Dream gehören nicht zu deinen Lieblingsbands?
Oh doch, ich habe sie aber erst später entdeckt, in einer Folge von Aspekte. Am Tag nach der Sendung habe ich mir Alpha Centauri gekauft, die Band danach aber wieder aus den Augen verloren. Wiederentdeckt habe ich sie erst zwei, drei Jahre später, wieder über eine Radiosendung. Da gab es eine Reihe – ich meine, Heinz-Rudolf Kunze hätte sie moderiert – über David Bowie. Die kam immer spätabends und am Ende einer der Folgen haben die Programmmacher die Zeit, die bis Mitternacht blieb, mit Ricochet Pt. 2 von Tangerine Dream gefüllt. Das hat mich völlig umgehauen, weil es mit Alpha Centauri nur noch sehr wenig zu tun hatte. Die folgenden drei, vier Jahre war ich kaum noch in der Lage, etwas anderes als elektronische Musik zu hören.