von Gereon Helmer, 7. April 2022
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Gerade mal fünfzig Jahre dauert die Entwicklung, die die Popmusik in Jan Reetzes epischem Band durchläuft, aber die Veränderungen von den Anfängen in den 1930ern bis hin zum Wende-Jahr 1989 sind immens. Von Wandervogel-Volksliedern und der „Hottentottenmusik“ der Swing-Jugend spannt sich der Bogen über Schlager, Beat und das unscharfen Phänomen „Krautrock“ bis hin zu NDW, Punk und schließlich zu den Anfängen von Techno. Reetze, studierter Soziologe und Musikwissenschaftler, skizziert im „Sound der Jahre“ den Werdegang (west-)deutscher Populärmusik aller Schattierungen, er seziert Entwicklungen der Veröffentlichungsstrukturen, stellt die wichtigsten Protagonisten mit verblüffender Detailtiefe vor. Zudem befasst er sich mit den kulturgeschichtlichen Aspekten, die Einfluss auf den Werdegang der unterschiedlichen Szenen nehmen sollten. Dabei sind sowohl die Rezipienten als auch die Kulturschaffenden Thema seiner umfassenden Analyse. Die Phase, die Reetze wohl am umfassendsten beleuchtet, ist aus gutem Grund die Krautrock-Ära. Denn da gelang es deutschen
Künstlern erstmals, „eigene“ Sounds, losgelöst von den dominanten US-amerikanischen und britischen Vorbildern, zu schaffen, und so eine eigene kulturelle Identität zu entwickeln. Reetze ist ein profunder Kenner der Materie, sein Buch eine spannende Mischung von essentiellen Informationen und unnützen, aber sehr vergnüglichen Fakten. Zudem gönnt sich der Autor eine eigene Meinung, er stellt Stars und kleinere Lichter mit gelegentlichem Augenzwinkern und einer anekdotischen Erzählweise vor. Selten wurde bundesrepublikanische Popkultur besser porträtiert.