von Daniel Böhm, 16. Februar 2022
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Im zurückliegenden Jahr wurde auf diesen Seiten die englischsprachige Originalausgabe dieses herausragenden Buches unter dem Titel Times & Sounds – Germany’s Journey from Jazz and Pop to Krautrock and Beyond empfohlen. Nun ist es auch in einer vom Autor vorgenommenen Übersetzung in seine Muttersprache zu bekommen: Jan Reetze, 1956 in Hamburg geboren, ist studierter Politikwissenschaftler und seit Jahrzehnten publizistisch in der Medien- und Musikwirtschaft tätig, seit 2008 lebt er in den USA. Dass er die Geschichte der modernen Musik in und aus (West-)Deutschland mitsamt ihrer Szene und Eigenheiten zunächst auf Englisch darstellte und anschaulich der Welt erklärte, machte seine Untersuchung nur noch spannender. Von seinem analytisch-strukturellen Vorgehen und seiner engagierten, mitnehmenden Sprache profitiert nun auch der Leser in dem Land, in dem sich das Geschehen dieses mehr als 500 Seiten starken Schmökers tatsächlich abspielte.
Wie viele grässliche Klischees und Vorurteile das Verständnis und die Akzeptanz der vielseitigen progressiven Musik der frühen Siebziger gerade im Ausland erschwerten, führt Reetze bereits auf den ersten Seiten seiner Einführung vor. Als lexikalischer Wegweiser durch das Genredickicht des „Krautrock“ mit seinen wichtigen und obskuren Plattenveröffentlichungen funktioniert das Buch nur bedingt, wenngleich nicht wenige Erwähnung finden. Dafür zeichnet es ein umso unterhaltender geschriebenes Panorama der politischen, soziokulturellen, geografischen und (medien-)ökonomischen- Rahmenbedingungen nach dem Zweiten Weltkrieg, die auf vielfältige Weise Einfluss nahmen auf den musikalischen Puls der Bundesrepublik Deutschland, seine Strömungen, Macher und wichtigen Katalysatoren. Auf dem Weg vom Jazz- und Swing-Orchester-Sound über Schlager, Rock’n’Roll und Beat, Folk-, Protest- und politischen Liedermacherkunst, Heavy-, Jazz- und Progressive-Rock bis hin zu den avantgardistischen Elektronik-Pionieren und der modernen Klassik von Stockhausen oder dem Klang der Neuen Deutschen Welle entgeht Reetze nichts. Überdies stellt er auch Produzenten und Studios vor, wodurch seine Untersuchung eine immense Informationsfülle und -tiefe erreicht.
Der mitnehmende, professionelle Schreibstil, die Struktur, die Informationstiefe und nicht zuletzt die tolle Haptik machen sein Werk noch viel mehr zu einem spannenden Lesebuch als Der Klang der Revolte: Die magischen Jahre des westdeutschen Musik-Untergrund (Christoph Wagner, 2013), das sich dem Thema Krautrock in ähnlicher, aber leichteren Weise nähert und sich auf dem deutschsprachigen Buchmarkt bislang als Standardwerk behauptet. Beide sind essenziell.