von Florian Schneider, 17. Dezember 2020
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Bunte Republik Kraut
Times & Sounds verbindet die Entwicklung von Krautrock mit der Geschichte der BRD. So entsteht ein umfassender Überblick über das wohl wichtigste Genre der Rockmusik, das von Deutschland ausging.
Das Timing für dieses Buch könnte kaum besser sein, 50 Jahre nach Veröffentlichung des ersten Albums von Kraftwerk. Zumindest mittelbar hat Autor Jan Reetze den Düsseldorfern zu verdanken, dass er heute mit seiner amerikanischen Frau in Pittsburgh lebt. Aber der gebürtige Hamburger setzt in Times & Sounds noch früher an als 1970: am Ende des Zweiten Weltkriegs. Ausgehend von dieser Zäsur in der Geschichte folgt er der Entwicklung von Rockmusik in Deutschland, die schließlich Ende der 60er/Anfang der 70er zu einer völlig eigenständigen Form führt. Die ist aber, wie Reetze auch zeigt, enorm vielfältig und wurzelt gleichermaßen im Schlager wie im Free-Jazz, in den Kommunen der 68er wie im Wirtschaftswunder – da wirkt Krautrock gleich noch mehr wie ein Hilfsausdruck, der vollkommen unzulänglich umschreibt, was Bands wie Can, Neu! oder Kraftwerk entwickelten und anstießen, auch außerhalb Deutschlands.
Reetze, ein Doktor der Soziologie, hat stets die politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen im Blick, die diese Entwicklung begünstigten. Sein Buch ist also Porträt der Bundesrepublik von den 50ern bis in die 80er hinein und eine Geschichte der Rockmusik in Deutschland. Ausgangspunkt für sein Debüt im neu gegründeten Bremer Halvmall Verlag war ein Skript fürs Radio, in dem er die abenteuerliche Lebensgeschichte von Ohr- und Pilz-Labelmacher Rolf-Ulrich Kaiser nachzeichnete; sie bildet eines der Gravitationszentren des Buches. Zwei andere sind die prägenden Produzenten dieser Zeit, Dieter Dierks und Conny Plank. Welchen Einfluss diese drei hatten, illustriert die tolle Grafik im Buchdeckel, die man sich nicht nur aus Gründen der besseren Lesbarkeit als Poster wünschte. Wie Illustrator Thorsten Breyer auf seiner Karte zieht Reetze in seinem Text immer wieder interessante Querverbindungen zwischen den verschiedenen musikalischen Welten in Deutschland. Dass Times & Sounds hier und da etwas gestrafft werden könnte, liegt an der enormen Detailfülle des Buches. Reetze verbindet in seinem „journalistic diary“, wie er es nennt, zudem seine eigene Biografie mit den beschriebenen Ereignissen, was Geschmacksache ist. Jetzt bräuchte es nur noch eine deutsche Übersetzung, denn Times & Sounds schielt mit seiner englischsprachigen Fassung vornehmlich auf Krautrock-Fans in England und den USA.